Notizen und Lektüretipps zu 25 Jahren Mauerfall

Berliner MauerWenn die Mauer 1989 nicht gefallen wäre, gäbe es auch diesen Literaturblog nicht, da beide Bloggerinnen in den beiden deutschen Teilstaaten aufgewachsen sind – Laura (*1984) in Lage / NRW und Katja (*1982) in Gera / Thüringen – und nun hat uns unser Weg beide seit einiger Zeit nach Berlin geführt. Unsere Freundschaft ist daher auch ein gewisses Symbol für die deutsche Wiedervereinigung ;). Wir möchten diesem historischen Datum Rechnung tragen, indem wir euch Bücher nennen, die sich mit der Thematik Ost/West und mit dem Leben in der ehemaligen DDR auseinandersetzen. Je nachdem, wie alt ihr seid und wo ihr aufgewachsen seid, habt auch ihr sicherlich euren eigenen Blick auf diese Zeit. Wir rufen euch auf, eure Lektüretipps zur DDR und deutschen Teilung ob Belletristik oder Sachbücher hier mit uns zu teilen. Denn egal, wo man aufgewachsen ist, wichtig ist das Erinnern und das Bewusstsein von der Vergangenheit. Bücher und Geschichten können diese vergangene Zeit zum Leben erwecken und uns von dem Erzählen, was wir selbst nicht miterleben konnten. Wir sind gespannt auf eure Buchempfehlungen!

Katjas Lektüretipps:

Man könnte sicherlich so viele Bücher aufzählen, die sich mit der DDR und der Thematik des Mauerfalls belletristisch befassen – manche von ihnen gut, manche von ihnen weniger gelungen. Ich habe als Ostdeutsche bisher weniger das Bedürfnis gehabt, jene zahlreichen in den Nuller Jahren erschienen „Wende-Romane“ zu lesen wie „Zonenkinder“ von Jana Hensel.

Richtig gut, authentisch, unterhaltsam und fand ich dagegen Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, das Laura abgebrochen hatte und wir hier lebhaft diskutierten. Ich habe mich in den Nullerjahren eher für Autoren interessiert, die aus der ehemaligen DDR stammen und unter den restriktiven Bedingungen dieses Staates versuchten, frei zu schreiben und ihre Kunst zu veröffentlichen.

Empfehlen möchte ich vor allem die Lyrik Sarah Kirschs und die Bücher Brigitte Reimanns wie „Franziska Linkerhand“ und „Ankunft im Alltag“. Die 1973 viel zu früh an Krebs verstorbene Autorin aus der Nähe von Magdeburg erlebte die DDR besonders in ihren Anfängen. Sie haderte Zeitlebens mit dem Anspruch des sozialistischen Regimes an seine Künstler und ihrem Frei- und Widerspruchsgeist, der sie anfangs an die sozialistischen Ideale glauben ließ, aber sehr schnell enttäuschte. In der Geschichte der jungen Architektin Franziska Linkerhand, dessen Veröffentlichung Brigitte Reimann selbst nicht mehr miterlebte, steckt all das Hadern und die Träume der leidenschaftlichen und willensstarken Autorin.
Des weiteren kann ich auch die großartige Biographie „Einfach wirklich leben“ von Dorothea von Törne über Brigitte Reimann empfehlen.

Eine weitere sehr interessante Biographie, die einen ungewöhnlichen Lebensweg nachzeichnet, habe ich hier bereits vorgestellt: „Der letzte Kommunist“ von Matthias Frings erzählt anschaulich und einfühlsam vom Leben des homosexuellen Dichters und selbsternanntem  Kommunisten Ronald M. Schernikau, der in den Wirren der Wendejahre entgegen der allgemeinen Richtung wieder in die DDR übersiedelte. Ein außergewöhnlicher und tragisch endender Lebensweg und eine großartig geschriebene Biographie! Sehr unterhaltsam und pointiert lesen sich auch Bernd-Lutz Langes Erinnerungen an seine Jugend im Dresden der 60 Jahre, die als „Mauer, Jeans und Prager Frühling“ im Aufbau Verlag erschienen sind.Mauer

Lauras Lektüretipps:

Ehrlich gesagt habe ich bisher nicht viel zur Thematik gelesen. Eher zufällig befassten sich die Bücher, die ich las mit der DDR und / oder dem Mauerfall, oder ich las Christa Wolf, bei der das Thema beinahe omnipräsent ist. Christa Wolf kann ich daher jedem ans Herz legen, der sich für authentische Beschreibungen des Lebens in der DDR interessiert oder dafür, was es bedeutet, nach der Wende als DDRler im Westen zu sein. Ganz besonders beeindruckte mich ihr letzter Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“. Sie schildert darin eine in der DDR aufgewachsene Erzählerin, die nach dem Mauerfall in die USA reist und dort die Erfahrung macht, wie es sich anfühlt, als Frau aus einem nicht mehr existierenden Staat im Westen zu leben. Zudem erinnert sie sich plötzlich daran, IM gewesen zu sein; eine verdrängte Erinnerung, mit der sie auf einmal konfrontiert wird. Lesenswert sind auch ihre autobiographischen Texte in „Ein Tag im Jahr 1960-2000“.

Wer es lieber fiktiv und in einen historischen Roman verpackt mag, könnte Peter Pranges „Bernstein-Amulett“ lesen. Allerdings hat dieses Debüt ganz klare Schwächen was die Sprache und den Hang zum Kitsch angeht. Weitergehend erläutert hab ich das vor zwei Jahren mal in dieser Besprechung des Romans.

Ein jüngst erschienenes Buch, das ich noch nicht gelesen habe, mich aber interessiert, ist „Drüben und drüben. Zwei deutsche Kindheiten“ von Jochen Schmidt und David Wagner. Es erschien dieses Jahr im August bei Rowohlt und beschreibt aus doppelter Perspektive das Aufwachsen im Nachkriegsdeutschland. Auf der einen Seite Jochen Schmidt, groß geworden im östlichen Berlin, auf der anderen Seite David Wagner, der in Bonn aufwuchs. Vielleicht hat es ja schon jemand gelesen und kann mir sagen, wie er´s fand?

Sachbuch-Lektüreempfehlungen von Wolfgang Martin (*1949 Gera, Vater von Katja)

 „Wir haben fast alles falsch gemacht – Die letzten Tage der DDR“, Günter Schabowski im Gespräch mit Frank Sieren, ECON (Ullstein Buchverlage GmbH)  5. Auflage, Berlin 2009.Bruderkuss_Eastside Gallery

Günter Schabowski, diplomierter DDR-Journalist, Absolvent der Parteihochschule der KPdSU, war u.a. Chefredakteur des wichtigsten SED-Parteiblattes „Neues Deutschland“. 1984 setzte ihn die SED als Mitglied des Politbüros und Chef der Berliner SED-Bezirksleitung ein. Er läßt selbst keinen Zweifel daran, über viele Jahre ein treuer Gefolgsmann der Partei, zunehmend aber auch vom Reformkurs Gorbatschows in Moskau beeindruckt gewesen zu sein. Das Buch ist sehr zu empfehlen, es gestattet tiefe Einblicke in interne Vorgänge und Mechanismen der totalitären SED-Machtausübung, insbesondere wird auch die Frage beantwortet, wer die wirklichen „Macher“ im Politbüro waren. Schonungslos rechnet Schabowski mit seiner Vergangenheit und dem Marxismus stalinistischer Prägung ab. Die Lektüre hat mich als „gelernten DDR-Bürger“ sehr beeindruckt. Das Buch ist zeitgeschichtlich und politisch interessierten Lesern zu empfehlen.

 „Urbi et Gorbi – Christen als Wegbereiter der Wende“ , Joachim JauerVerlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010.

Joachim Jauer, kenntnisreicher Autor, den älteren Lesern noch ein Begriff, war langjähriger Korrespondent des ZDF in der DDR, Moderator von „Kennzeichen D“, darüber hinaus auch Sonderkorrespondent in Mittel- und Osteuropa, zuletzt Leiter des ZDF-Studios Berlin, heute freier Autor. Sein überaus informatives Buch befaßt sich mit den „Revolutionen“ von 1989 in ganz Osteuropa, von Polen angefangen bis hin zu Bulgarien. „Wer an den Hintergründen interessiert ist, der wird durch Jauers Analysen so gut bedient, daß kaum ein Wunsch offen bleibt.“ (Vera Lengsfeld in Die Welt)
Er widmet sich in seinem Buch, deshalb der Titel „Urbi et Gorbi“, dem zeitgleichen Wirken und Auftreten von Michail Gorbatschow und Karol Wojtyla, dem späteren Papst, auf der Weltbühne. “Der polnische Papst“ heißt es im Begleittext zum Buch „hat Menschen zum Abschied vom Kommunismus angestiftet, der sowjetische Generalsekretär hat das zugelassen.“ Die Lektüre empfiehlt sich Lesern aller Altersklassen, die an einer länderübergreifenden Schilderung der Geschehnisse vor 25 Jahren interessiert sind.

12 Gedanken zu “Notizen und Lektüretipps zu 25 Jahren Mauerfall

  1. Die Tagebücher von Brigitte Reimann habe ich in den 1990ern sehr genossen. Ich erinnere mich an viele Unterstreichungen, was ihr Liebesleben betraf. Zusammen mit den frühen Aktfotos von Thomas Karsten („Thomas – mach ein Bild von uns!“) entstand bei mir das Bild nicht eben geringer Freizügigkeit. Meine Bundeswehrzeit war erfüllt von Stefan Heyms „Nachruf“ und Günter de Bruyns „Jugend in Berlin“. Zwei herausragende Autobiographien, die mir eindrucksvolle Kapitel über die DDR schenkten. „Unternehmen Romeo“ von Elisabeth Pfister und „Zersetzung der Seele – Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi“ von Klaus Behnke / Jürgen Fuchs haben für mich mehr Substanz, als die gesammelten Theorien von Sigmund Freud. Operative Vorgänge als regelrechte Bühnenstücke, in denen nach und nach jeder IM mit seiner Sprechrolle herantrat an die Zielperson: „Ich liebe Dich, bitte kehr um! Komm, tue es für mich, tue es für uns…“ Über allem aber wohl das Projekt der „Kinder von Golzow“! Diese weltweit einmalige Langzeitstudie von der Grundschule in den 1960ern bis weit über die Wende hinaus empfinde ich als absoluten Pflichtkauf!

    1. „Wie es leuchtet“ wurde mir auch schon empfohlen. Das werde ich mir auch als nächstes mal vornehmen. Interessieren würde mich, wieso du den Ruge nicht mochtest. Wir hatten ja damals auch eine interessante Diskussion dazu hier. Woran lags bei dir? Sprachstil? Humor? Struktur? Erählhaltung? Fehlende Identifikation mit den Figuren? Thema?

      Vielleicht magst du ja davon erzählen …

      1. Hier meine Rezension.
        http://reingelesen.wordpress.com/2014/10/18/in-zeiten-des-abnehmendes-lichts-eugen-ruge/

        Sprachstil ist mir nicht sonderlich aufgefallen. Humor habe ich nicht gefunden. Struktur und Erzählhaltung, ja das könnte besser sein, bzw. hätte es da Möglcihkeiten Gegeben, aber nachher ist das ja einfach gesagt, einfacher als Selber gemacht. Ich finde nicht das es ein Buch ist das nötig gewesen wäre und nach einem knappen Monat nach Beendigung würde ich sagen ich verstehe nicht warum dieses Buch einen Preis bekommen hat, es ist nicht lebendig.
        Danke der Nachfrage 🙂
        Liebe Grüße

      2. Okay. Also so schlecht fand ich es gar nicht. Und mein Papa, der ja die DDR-Zeit auch miterlebt hat, war total begeistert, hat sich kaputt gelacht und fand es total authentisch. Er meinte, das es genau solche unangenehmen Persönlichkeiten, wie sie Ruge beschrieben hat, damals gegeben hat und der Autor das wunderbar eingefangen hat.
        Natürlich hat das bei so einem zeitgeschichtlichen Thema immer viel mit dem Leser zu tun, seinen Erfahrungen und Erwartungen. Besonders künstlerisch Anspruchsvoll oder vom Erzählstil innovativ ist es sicherlich nicht. Aber so geht es ja vielen Büchern über die DDR-Zeit. Bei den Buchpreisen frag ich mich auch oft, wieso der- oder diejenige einen bekommt. Die von mir geschätzte Sibylle Berg hat ja auch noch keinen bekommen, obwohl verdient. Naja.

      3. Das kommt sicher auch auf die Art des humors drauf an und wie man jetzt lebt ob man darüber lachen kann oder wie ich eben den Ekel empfindet. Ich bin auch im Osten geboren und als Kind in den Westen ausgewandert worden. Habe also diese Arbeitswelt nur am Rande mitbekommen, aber ich emfinde es als wahre Horrorvorstellung und bin dann einfach nur froh das es die DDR nicht mehr gibt. Ich bin da sehr sensibel und empfinde das hautnah.. naja ich habs geschrieben.
        Wie es leuchtet wird aufjedenfall mein Buch zur Wende bleiben wenn sich nichts besseres findet. Das Leben ist halt ne sehr persönliche Sache – gell 😀

  2. Viele tolle Lesetipps. Danke.

    Brigitte Reimann habe ich in den Neunzigern intensiv gelesen.

    „Ein Tag im Jahr…“ von Christa Wolf hat mich auch sehr fasziniert. Andere Bücher von ihr auch.

    Maxie Wander möchte ich hier noch ergänzen: „Guten Morgen, du schöne“ Großartige Frauenporträts. Und ihre Biografie: „Das Leben, dieser Augenblick“.

    Und auch die Bücher von Christoph Hein – insbesondere „Der fremde Freund. Drachenblut“ – und die von Jakob Hein finde ich spannend.

    „Die Kinder von Golzow“ – ein großartiges Filmprojekt, ja.

    Viele Grüße, Doreen

    ps: „Zonenkinder“ fand ich ganz schrecklich.

    1. Liebe Doreen – danke dir auch für die Tipps. Da gäbe es sicherlich noch viele Bücher zu erwähnen, man schafft ja nie alle lesenswerten Bücher zu lesen und manchmal ist man eines Themas auch überdrüssig. Wer kennt das nicht!? Christopf Hein mag ich übrigens auch.

      LG

      Katja

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