Ronja von Rönne: Wir kommen (2016)

MAJA IST NICHT TOT. Wenn Maja gestorben wäre, hätte sie mir davor Bescheid gesagt. Solche Dinge haben wir immer abgesprochen.
Ihr Name sieht lächerlich aus, so schwarz umrandet, wie er da auf dem Brief vor mir steht und ganz ernst tut, als sei am 20. wirklich ihre Beerdigung, als würden an diesem Sonntag wirklich sämtliche Angehörige auf dem Dorffriedhof aufkreuzen, Kränze ablegen, Erde in eine Grube werfen und etwas Nettes über Maja sagen. Bullshit. Den meisten würde doch zu Maja überhaupt nichts Positives einfallen, außer vielleicht ihre phantastischen Brüste. Angenehm überrascht wären sie höchstens davon, dass sie jetzt in einer Kiste unter der Erde liegt und sich endlich so benimmt, wie es sich für die Bewohner unserer Gemeinde gehört. Sterben gehört bei uns nämlich genauso zu einem höflichen Miteinander wie akkurat gestutzte Rasen, denn wo kämen wir denn da hin, wenn jeder lebte, solange es ihm beliebt, und das Gras bis auf das Nachbargrundstück wuchert.

Lange hat mich ein Roman nicht mehr so kalt gelassen wie der Debütroman von Ronja von Rönne. Warum?

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Für mich hat der Roman wenig Botschaft. Es liest sich mehr wie eine Zustandsbeschreibung und man gerät schnell in die Lage, Ich-Erzählerin mit Autorin gleichzusetzen. In irgendeiner Rezension las ich, dies sei eine Reminisenz auf den Poproman der späten 90er Jahre und quasi DER neue Poproman der Generation Y, mit der ich nichts anfangen kann. Ebensowenig konnte ich mit dem Poproman der späten 90er etwas anfangen. Die Handlung, erzählt aus der Perspektive der jungen Nora, erstreckt sich über wenige Tage und birgt wenig Überraschendes. Also auch schnell erzählt. Es scheint auch weniger um die Handlung, sondern eher um den Blick von Nora auf ihre Welt, auf ihre seltsamen Beziehungen zu Menschen und  ihren zynischen Blick auf ihre Zeit und die Gesellschaft im Allgemeinen zu gehen.

Ich weiß noch nicht, was ich heute Abend mache. Vielleicht markiere ich etwas mit „gefällt mir“.

Der Figurenkreis ist sehr überschaubar und es findet nicht wirklich eine Entwicklung noch eine Reibung oder Auseinandersetzung statt. Die Figuren kreisen um Ihre seltsam symbiotische Viereckskiste. Und dann gibt es da noch Maja, die tote Freundin aus Jugendtagen, die es gewagt hatte zu sterben und nicht vorher Bescheid zu sagen. Und eine Schildkröte namens 390 Gramm.

Eines muss man Ronja von Rönne lassen, sie hat etwas Originelles in Ihrem Schreibstil und auch an Ihrer Figurenbeschreibung. Die Figuren haben nichts klischeehaftes und dennoch wirken sie seltsam leer und austauschbar. Es entsteht kein konkretes Bild vor meinen Augen, wenn ich mir dieses seltsame Vierergespann vorstelle. Doch Ronjas Buch berührt mich einfach nicht, es macht einfach rein gar nichts mit mir.

Worum es so geht und auch wieder nicht

Nora ist eine Irgendwas-im-Fernsehen-Machende-und-dafür-Geld-kriegende Anfang 20-Jährige (?), die an Panikattacken leidet, zu einem Therapeuten geht und in einer seltsamen Viererbeziehung lebt. Von dort aus lebt sie so in den Tag hinein, betrachtet ihre Welt und blickt auf Ihre eigenartige Beziehungskiste. Noras Zeit ist das Jetzt, wahrscheinlich das Jetzt in dem Jahr, in dem  Ronja von Rönne den Roman geschrieben hat (wohl so 2015). So weit, so deprimierend irgendwie.

Irgendwann war der Boden bedeckt mit Zetteln, mit Fotos und Ausdrucken, mit Adresslisten und Rezepten, mit leeren Rotweingläsern und müden Menschenkörpern, die irgendwann zaghaft die Stifte weglegten, sich an die Couch lehnten, sich vorsichtig berührten wie ein altes Ehepaar, das es noch mal versuchen wollte. Ein Ehepaar, das rührend war, weil es sich unbedingt an gute Zeiten erinnern wollte. Dieser Versuch, sich daran zu erinnern, wie es mal war, da ist keine Verliebtheit. Schlechter Sex, das ist Liebe.

Diese Viererkonstellation besteht aus Nora, Karl, Jonas und Leonie sowie ihrer kleinen Tochter Emma-Lou. So richtig versteht man nicht, wer jetzt zuerst mit wem zusammen war oder ob das überhaupt eine Rolle spielt. Jedenfalls lebte Nora mit Karl zusammen, der Leonie mitbrachte und eines Tages kam Jonas dazu, der sich aber auch zu Leonie hingezogen fühlte und vor allem zu Leonies Tochter. Obwohl Nora, wie auch die anderen 3, sich einredet, mit der Situation klarzukommen, machen sich alle etwas vor und der schöne Schein der ach-so-freien Polyamorie zerbricht ganz schnell. Am Ende scheint niemand so vollkommen glücklich zu sein und alles ist nur grau in grau.

Wir sind alle zusammen eingeschlafen, legten uns zu Emma-Lou ins Kingsize-Bett, eine Hand fuhr mir durchs Haar, und Jonas erklärte, dass das alles okay sei. Wir seien die Generation, die aufarbeitet, Epigenetik heiße das, wir seien die wohlbehütetste und depressivste von allen Generationen, wir verarbeiteten die Krieger unserer Großeltern, wir verarbeiteten abgeschossene Beine, verlorene Söhne, wir verarbeiteten eiserne Vorhänge, wir verarbeiteten Schützengräben. Wir müssten keinen Grund für unsere Traurigkeit haben, sie sei uns bleiern in die DNA gegossen, sagte Jonas.

So was wie Handlung

Eine seltsame bleierne Schwere durchzieht den Roman, er kommt nicht vom Fleck. Das liegt auch an den depressiven Zuständen von Nora, die nicht vom Fleck zu kommen scheint. Ich verstehe nicht, was sie eigentlich vom Leben will, weil sie es selbst nicht versteht. Ich bin eher genervt von Nora.

Der Kulminationspunkt der Geschichte, wenn man das so nennen will, dreht sich um einen Kurzurlaub, den alle gemeinsam mit Emma-Lou unternehmen. Nora kommt dieser Urlaub gerade recht, denn Sie hat einen Brief erhalten, dass Ihre ehemals beste Freundin Maja aus Ihrem Heimatdorf verstorben sei. Man fährt gemeinsam in ein großes Haus am Meer, um einfach mal raus zu kommen, aber so richtig glücklich scheint niemand damit zu sein. Und dann beschließt man eine große Party zu feiern und alle Freunde ans Meer einzuladen. Aber auch das macht nicht alles wieder gut und schon gar die die Beziehungskisten. Bis dann doch am Schluss noch etwas passiert: Jonas verschwindet mit Emma-Lou …

Man hört ja vielerorten einen Abgesang auf die althergebrachte traditionelle 2er-Paar-Beziehung, in der einer dem anderen treu ist, bis dass der Tod sie scheidet. Aber Ronja von Rönne zeigt, dass auch in einer Viererkonstellation nicht das wahre Glück zu liegt. Also was ist denn jetzt richtig? Alles wirkt vertrackt. Nora glaubt nicht an Beziehungen, nicht an die Liebe, aber auch nicht an die Freiheit einer Polyamorie. Denn sie ist saueifersüchtig auf Leonie und Karl. Um mit ihrer Situation klarzukommen, beginnt sie auf Anraten von Leonie, die das gleiche getan hat, eine Therapie. Dabei wälzt sie sich durch ihre Teenagertage mit der verrückten Maja und merkt, dass sie da irgendwie immer noch festhängt. Ihr Therapeut rät ihr, all das aufzuschreiben, was ihr durch den Kopf geht und so entsteht der Roman.

Und am Ende? Kein verdammter Poproman

Worum geht es nun im Debüt von Ronja von Rönne? Um moderne Beziehungskisten, den aufgesetzt gelangweilten und depressiven Zynismus einer Generation Why, deren Höhepunkt des Tages es ist, ein Like unter irgendeinen Scheiß bei Facebook zu setzen? Ein junges deprimiertes Ich erzählt den Älteren wie es ist im Deutschland 3.0 jung zu sein? Darin erkennt sich mancher Leser der selben Generation womöglich teilweise wieder. Dieser so oft von Rezensenten als „schnodderige Frische“ bezeichnete Stil ist wohl das Markenzeichnen der Autorin und nicht nur in Ihren feuilletonistischen Texten in der WELT  ganz gekonnt eingesetzt. Sie scheint sich genau zu überlegen, wie sie etwas schreibt und es kommt auch ganz frisch daher. Aber für einen Roman, der etwas erzählen und entwickeln kann, ist mir das zu wenig. 

Jonas murmelte: „Und am Ende stirbt einer. Klar. Wir sind doch kein verdammter Poproman“

Was will dieses Buch?

Vielleicht kann das nur Ronja sagen. Man merkt Ronja an, sie will irgendetwas anders machen. Aber kann man das angesichts dessen, dass irgendwie alles schon einmal da war?

Ronja von Rönne: Wir kommen. Aufbau Verlag 2016.

Neugierig geworden und selbst ein Urteil bilden? Ich verschenke ein druckfrisches Exemplar von „Wir kommen“ an den Ersten, der hier einen Kommentar hinterlässt und Bock drauf hat. Ein Dank geht an den Aufbau-Verlag!


© Carolin Saage
© Carolin Saage

Ronja von Rönne, 1992 in Berlin geboren, lebt in Berlin und Grassau. Seit 2015 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Welt. Mehr von der Autorin unter Sudelheft.

13 Gedanken zu “Ronja von Rönne: Wir kommen (2016)

  1. Bock drauf nicht 😉 Ich habe schon mal in der Buchhandlung geblättert und es war ehrlich gesagt echt schlecht, aber vielleicht sind ja ein paar gute Zeiten doch irgendwie drin.
    Die Rezension ist vermutlich besser als das Buch.

    1. Hey J., danke dir 😉 Magst du es jetzt dennoch haben, dann reservier ich es gern für dich =) Ich denke auch, dass es für eine bestimmte Leserschicht, die 10 Jahre jünger ist als ich, interessant sein könnte (ich werde 34 im Übrigen =)) Aber wer weiß … Mich hat es halt nicht überzeugt oder umgehauen. Gib mir nochmal Bescheid und schick mir deine Adresse an info.aboutsomething@gmail.com

      Liebe Grüße

      Katja

    1. Hey Susanne,

      ja es geht uns gut und es gibt uns noch 😉 Nur haben wir uns ja bekanntermaßen etwas mit dem Bloggen zurückgenommen. Ich blogge beruflich anderweitig ja genug und lese derzeit einfach ganz gern mal im Hintergrund, ohne dass hier auszubreiten. Aber es kommen sicherlich wieder Blogzeiten. Und Laura hat ja erstmal auch anderes zu tun 😉 Aber sie liest noch sehr umfänglich und viel, kommt nur kaum zum Schreiben.

      Vielleicht können wir uns bald mal wieder sehen – leider schaffe ich es zeitlich nicht mehr zu deinen Salons. Das ist mir immer zu früh leider. Ich würde auch so gern mal wieder in eine Ausstellung gehen. War ich sehr lang nicht mehr. Ganz bald hab ich Urlaub und bin in Irland, da freu ich mich drauf und da wird es sehr viel Schönes zu entdecken geben.

      Liebe Grüße

      Katja

      1. Liebe Katja, ich wünsche euch viel Freude in Irland. Das wird bestimmt eine eindrucksvolle Reise. Ich warte nun schon auf die Zensur für meinen BA und habe mich für einen Masterstudienplatz beworben. Ich hoffe, ich kann dann ab Oktober offiziell Masterseminare belegen. Vielleicht schaffen wir ja mal ein Treffen im Kaffee am Schillerpark. Das wäre schön …. Liebe Grüße von Susanne

  2. Ich habe Ronja von Rönne bei einer Lesung in Frankfurt erlebt und war nach allem, was man so gelesen und gehört hat und was man schließlich selbst meinte zu wissen, wirklich überrascht von dieser schlagfertigen, pfiffigen und eloquenten jungen Frau.

    Auch das, was sie an dem Abend gelesen hat, sagte mir zu, ich habe mich durchaus an der Sprache und am Witz erfreut. Aber sind es eben auch nur Auszüge gewesen, noch dazu auf launige Weise vorgetragen – dass der Roman als Ganzes aufgeht, daran habe ich meine Zweifel. Zweifel, die natürlich wiederum von den Meinungen anderer genährt wurden und die ich bislang noch nicht überprüfen konnte …

    1. Liebe Caterina,

      dass Ronja einen ganz frischen, gewitzt-frechen Stil hat, bestreite ich nicht. Ich fand sie auch bei Böhmermann ganz amüsant. Fürs Feuilleton ist das sicher interessant. Leider reicht das für meine Verhältnisse für Ihren Roman nicht. Der Ansatz, ihn zu schreiben, ist mir auch nicht klar. Für mich hat er kein Thema. Er siniert so dahin.

      Ich bin allerdings sehr beeindruckt, wie sie es geschafft hat, mit diesem Debüt vom Aufbau-Verlag verlegt zu werden. Respekt! Da müssen gute Beziehungen dahinter sein und das meine ich nicht zynisch. Ich weiß aus der Branche, wie schwer es zahlreiche gute Debütanten haben (und mit gut meine ich gut und habe einen hohen Anspruch), einen Verlag und dann auch noch einen Publikumsverlag zu finden.

      Liebe Grüße

      Katja

  3. Ich hab es nun auch geschafft, das Buch mal zu lesen. … und ich muss dir zustimmen. Es ist mal wieder das typische selbstreflektive Selbst-Bemitleiden einer Ich-Erzählerin, wie es so häufig vorkommt in den Debüts. Fehlt nur noch, dass der Roman in Berlin spielt:)
    Aber ein paar positive Punkte möchte ich doch anmerken: Die Erzählerin ist sich der Sinnlosigkeit ihres Selbstmitleids teilweise bewusst. Die planlose Generation why spiegelt sich quasi selbst. Auch das Schreiben wird durch die Rahmenstory mit dem Tagebuch reflektiert; so denkt Nora an einigen Stellen darüber nach, was sie eigentlich gern erlebt oder getan hätte, um es dann aufschreiben zu können. Das fand ich ganz interessant.
    Tja. Aber die Story selbst und das bemühte besonders schreiben wollen der Autorin…. nicht der Rede wert. Bzw. Nervig. Schade. Noch so ein Buch, das man schnell wieder vergisst.

    1. Dem hab ich nichts mehr hinzuzufügen. Dieses selbstreflexive und selbstkritische der planlosen Generation Why sehe ich so auch. Da stimme ich auch zu. Ich halte Frau von Rönne auch für ein selbstreflektiertes kluges Köpfchen. Dennoch ist das leider keine Literatur, die irgendwie tiefer geht oder etwas Beeindruckendes bietet…

  4. Irgendwas muss ich verpasst haben. Ich kenne diese Geschichte nicht. Das Schlüsselwort scheint ‚Beziehungskiste‘ zu sein. Es gibt eben nichts Neues unter der Sonne. (Zu finden auch beim Prediger Salomo.) So gesehen scheine ich dann doch nichts verpasst zu haben. Schade, Deine Rezension hatte mich Neugirieg gemacht.

  5. Spannende Rezension. Überzeugt durch den individuellen Blickwinkel, sehr nachvollziehbar.
    Wieder eine Autorin, die versucht eine Generation zu verstehen und dabei irgendwo zurückbleibt.
    Kenne das Buch nicht, aber dieser Erzählstil ist mir bekannt und scheint das „Erzählen“ weit hinter sich zu lassen..

    1. Liebe Helena, danke für deinen Kommentar. Vor dem Lesen des Romans hatte ich schon so meine Zweifel, was das wird, aber ich wollte mir dennoch selbst eine Meinung bilden. Vielleicht mag es manchem Leser aus der Seele sprechen, ich konnte nicht so viel damit anfangen. Wie du schon sagst, erzählerische Qualität ist nicht so wirklich zu finden.

      Liebe Grüße

      Katja

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