Judith Holofernes: „Du bellst vor dem falschen Baum“ (2015)

Judith Holofernes, ist das nicht die Sängerin der Band „Wir sind Helden“? Judith Holofernes_Du bellst vor dem falschen BaumRichtig. Ich mochte Wir sind Helden mit ihrer ersten Platte „Reklamation“ und ihrem zweiten Album „Von hier an blind“ sehr gern und habe sie auch ein paar Mal live erlebt. Dann sind sie mir ein wenig in Vergessenheit geraten, ich habe mich für andere Musik interessiert. Letztes Jahr habe ich dann bei Radio Eins gehört, dass Judith ein Solo-Album aufgenommen hat. Das hat mich dann wieder neugierig gemacht. Ich habe ein wenig nach ihr gegoogelt und bin auf ihren Blog gestoßen. Dort versammelt sie nicht nur Gedanken aus ihrem persönlichen Leben oder äußert sich zu aktuellen Themen, sondern veröffentlicht auch Gedichte und lyrische Texte. Wie passend, dachte ich. Judith war auch bei Wir sind Helden für die eigensinnigen, einprägsamen Texte verantwortlich, die mir damals schon gut gefallen hatten. Und nun ein Band mit Tiergedichten. Ich mag Judith Holofernes und ich mag Tiere. Das muss doch was für mich sein.

Viele andere Leser fragen sich jetzt wohl – muss das sein? Und vor allem – muss das gut sein? Ich würde sagen, es muss gar nichts, aber es kann alles. Wenn einer als Sänger schauspielert oder umgekehrt, gilt in Deutschland immer der Vorwurf: Das macht er jetzt auch nur, weil er schon einen Namen hat und weil es gerade „in“. Ähnlich ist es wohl scheinbar auch mit dem Publizieren. Was haben wir also von der Veröffentlichung von Judith Holofernes zu halten? Ihr könnt davon halten, was ihr mögt. Ich möchte euch gern mitteilen, was ich davon halte. Weiterlesen

Sylvia Plath: Faun

„Haunched like a faun, he hooed
From grove of moon-glint and fen-frost
Until all owls in the twigged forest
Flapped black to look and brood
On the call this man made.

No sound but a drunken coot
Lurching home along river bank.
Stars hung water-sunk, so a rank
Of double star-eyes lit
Boughs where those owls sat.

An arena of yellow eyes
Watched the changing shape he cut,
Saw hoof hoarden from foot, saw sprout
Goat-horns. Marked how god rose
And galloped woodwar in that guise.“

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expression # Georg Heym: Deine Wimpern, die langen #

Deine Wimpern, die langen,
Deiner Augen dunkele Wasser,
Laß mich tauchen darein,
Laß mich zur Tiefe gehen.

Steigt der Bergmann zum Schacht
Und schwankt seine trübe Lampe
Über der Erze Tor,
Hoch an der Schattenwand,

Sieh, ich steige hinab,
In deinem Schoß zu vergessen,
Fern was von oben dröhnt,
Helle und Qual und Tag.

Pablo Picasso - Dora Maar mit grünen Fingernägeln, 1936, Öl auf Leinwand
Pablo Picasso – Dora Maar mit grünen Fingernägeln, 1936, Öl auf Leinwand

An den Feldern verwächst,
Wo der Wind steht, trunken vom Korn,
Hoher Dorn, hoch und krank
Gegen das Himmelsblau.

Gib mir die Hand,
Wir wollen einander verwachsen,
Einem Wind Beute,
Einsamer Vögel Flug,

Hören im Sommer
Die Orgel der matten Gewitter,
Baden in Herbsteslicht,
Am Ufer des blauen Tags.

Manchmal wollen wir stehn
Am Rand des dunkelen Brunnens,
Tief in die Stille zu sehn,
Unsere Liebe zu suchen.

Oder wir treten hinaus
Vom Schatten der goldenen Wälder,
Groß in ein Abendrot,
Das dir berührt sanft die Stirn.

Einmal am Ende zu stehen,
Wo Meer in gelblichen Flecken
Leise schwimmt schon herein
Zu der September Bucht.

Oben zu ruhn
Im Haus der dürftigen Blumen,
Über die Felsen hinab
Singt und zittert der Wind.

Doch von der Pappel,
Die ragt im Ewigen Blauen,
Fällt schon ein braunes Blatt,
Ruht auf dem Nacken dir aus.

Göttliche Trauer,
Schweige der ewigen Liebe.
Hebe den Krug herauf,
Trinke den Schlaf.

 

Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Rowohlt Verlag Berlin 1990 (Erstausgabe 1920) Hier S. 1152f.

 

expression #Alfred Wolfenstein: Das Herz#

Vergessen lag das Herz in unsrer Brust,
Wie lang! Ein Kiesel in des Willens Lust.
Nur mit den wasserkühlen spiegelnden Händen
Manchmal berührt, unbewußt.

Einsiedlerisch in sich geschweift so klein,
Nicht nötig für de lückenlosen Stein
Der großen Stadt und für den stählernen Geldthron,
In spitzes Rad griff volles Herz nicht ein.

Doch einmal endet der entseelte Lauf,
Nie steigt aus Umwelt Licht herauf,
Was uns umscheint, ist Himmel nie! Der Morgen
Bricht innen aus dem Menschen auf –

Das Herz – das schmal wie eine Sonne brennt,
Doch Sterne rings nach seinen Strahlen nennt,
Das kleine Herz blickt unermeßlich
Aus seiner Menschenseele Firmament!

O Stirn, das Zeichen dieses Herzens trag,
Gedanken, tiefer hallt von seinem Schlag,#
Das Herz wird die gewaltige Einheit innen!
Im Weltall leuchtets als des Menschen Tag.

Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung.  Ein Dokument des Expressionismus. Rowohlt Verlag Berlin 1990 (Erstausgabe 1920) Hier S. 123.

Der philosophische Mittwoch und der Sommerekel von Wiglaf Droste

Ich will dich niemals einem Sommertag vergleichen
Denn Sommertage gehn mir furchtbar auf den Kranz
Ab Anfang Mai, ganz ohne Schamerröten und -erbleichen
Da sieht man öffentlich, was rein privat ist, selbst den Schwanz.

Man sieht die hergezeigten vaginalen Spalten
Der aufgepushten Party-Party-Party-Mädchen
Sie zeigen selbstverständlich die analen Falten
Und, wenn man richtig Pech hat, auch das Tampon-Rückhol-Fädchen.

Und ihre Smartphone-Feier-Freier, fixiert auf digitale Huren
Gehn dem Betrachter ganz genauso auf die Eier und die Nerven:
Entseelte Ficker, die ein Mensch, der Mensch sein will, stets meidet.

Wie anders aber gehen doch privater Liebe Uhren
Man muss nicht, sich entblößend, auch die Menschenwürde von sich werfen
Wenn Liebende sich lieben, ist es nackte Schönheit, die sie kleidet.

Wiglaf Droste im Magazin, Ausgabe Juli/August 2013

Der philosophische und poetische Mittwoch: Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Erich Fried „Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte“, Berlin 1996.

Frohe Ostern und hasiges Eiersuchen …

Wir nutzen die Osterzeit bei unseren Lieben u.a. zum Lesen und ihr dürft gespannt sein auf baldige verdichtete gebloggte Buch- und Kunstkritik. Um euch die diesjährige Oster-Tristesse ein wenig augenzwinkernd zu versüßen, kommt hier für euch das ultimative Oster-Gedicht von Joachim Ringelnatz:

Ostern

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
„Glockenklingen“ sich auf „Lenzesschwingen“
Endlich reimt
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.

Und wenn wirklich dann mit Glockenklingen
Ostern naht auf Lenzesschwingen, –
Dann mit jenen Dichterlingen
Und mit deren jugendlichen Bräuten
Draußen schwelgen mit berauschten Händen –
Ach, das denk ich mir entsetzlich,
Außerdem – unter Umständen –
Ungesetzlich.

Aber morgens auf dem Frühstückstische
Fünf, sechs, sieben flaumweich gelbe frische
Eier. Und dann ganz hineingekniet!
Ha! Da spürt man, wie die Frühlingswärme
Durch geheime Gänge und Gedärme
In die Zukunft zieht,
Und wie dankbar wir für solchen Segen
Sein müssen.
Ach, ich könnte alle Hennen küssen.
Die so langgezogene Kugeln legen.

Wer nicht spätestens jetzt den Frühling im Gedärm spürt, der sollte einfach noch ein wenig Ringelnatz lesend hasengleich durch die Welt hüpfen =)

>>> Jochachim Ringelnatz: Das große Lesebuch. Hrsg. v. Mirjam Neusius. Fischer Verlag FaM Gedicht „Ostern“ aus dem Band „Allerdings“, Original v. 1928

Der philosophische Mittwoch: Erst das Fressen und dann die Moral

Zweites Dreigroschen-Finale

1
Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt,
Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein.

2

Ihr lehrt uns, wann ein Weib die Röcke heben
Und ihre Augen einwärts drehen kann.
Zuerst müßt ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die auf unsrer Scham und eurer Lust besteht
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer schiebt, wie ihr es immer dreht
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muß es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
Denn davon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.
Nur dadurch lebt der Mensch, daß er so gründlich
Vergessen kann, daß er ein Mensch doch ist.
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein.

Bertolt Brecht: Dreigroschenoper- Nach John Gays »The Beggar’s Opera«, Suhrkamp-Verlag 200 (Erste Auflage 1968, geschrieben u. uraufgeführt 1928)

Der kunstphilosophische Mittwoch mit Marc-Uwe Kling: Art 2.0

Wir stehen im Museum und begaffen eine Nackte von Picasso. Unter dem Gemälde kleben eine Unmenge Post-it-Zettel. Auf dem oberen steht:
Da finde ich sohgar Britney Spiers noch geiler, die fette Schlammpe.
Gemäß dem neuen Museumskonzept kann jeder Besucher unter den Kunstwerken Kommentare hinterlassen.
Boah. Wo hatt die denn ihre Titten?
„Der neue Name hätte uns stutzig machen müssen“, sagt das Känguru.
Hatte die echt eckige Titten?
„Du meinst, dass sie das Museum für moderne Kunst jetzt MyMuseum nennen?“
Kennt ihr das Bild von Britney Spears ohne Slib, wo mann ihre Muschi sieht? Dass solten die lieber hier aufhengen.
„Und dass es umsonst war, man sich aber registrieren musste, um die Bilder zu sehen“, sagt das Känguru.
„Ich hätte lieber bezahlt“, sagte ich.
„Ich finde das ganze Art 2.0-Konzept nicht so überzeugend.“
Unter dem Pollock-Gemälde an der Wand gegenüber hängen noch mehr Zettel. Diesmal regt sich das Känguru richtig auf.
„Was denn?“, frage ich.
So ein Geschmiere hätte ich auch abliefern können„, steht da. Das Känguru geht zum Post-it-Block und nimmt den Stift. „Lass doch“, sage ich. „Das bringt doch nichts.“
Aber es lässt sich nicht abhalten.
Hast du aber nicht, Schwachkopf„, kommentiert es den Kommentar.
Der Mann, der neben uns gestanden hat, tritt zum Block.
Selber Schwachkopf„, klebt er unter den Zettel des Kängurus. „O je“, denke ich, als sich das Känguru gerade aufmacht, eine weitere Replik zu verfassen, „das wird wieder länger dauern.“

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken, Ullstein-Verlag (19. Auflage) 2009 S. 206