Ludger Pfeil: Du lebst, was du denkst (2015)

Sag mir, wie du denkst und ich sag dir, wer du bist. In dieser oder ähnlich verknappter Form könnte man das Anliegen von Ludger Pfeils Sachbuch „Du lebst, was du denkst“ fassen. Mich erinnert es auch an René Descartes „Ich denke, also bin ich“. Bin ich nun, weil ich denke oder was ich denke? Lebe ich immer, was ich denke? Und hilft mir das, mich und meine Mitmenschen besser zu verstehen?

Ludger Pfeil, Du lebst, was du denkstLudger Pfeil ist promovierter Philosoph und Managementberater. Sein Buch möchte „mit der Aufdeckung philosophischer Hintergründe begreiflich machen, wie wir denken“. Anhand verschiedenster philosophischer Denkweisen teilt Pfeil 9  verschiedene Denktypen ein. Seine Idee: Wir könnten einander besser verstehen, wenn wir erkennen, dass jeder Mensch nach einem gewissen Denkmodell lebt. Wenn wir miteinander kommunizieren, führt dies oft in eine Sackgasse und man fragt sich oft: Wieso versteht mich mein Gegenüber nicht? Das liegt laut Pfeil auch daran, dass ein Mensch mit der Zeit ein gewisses Denkmuster entwickelt, nach dem er lebt. Pfeils These: Wer sich in andere Denkmuster hineinversetzt und besser erkennt, welcher Denktyp er ist, wird es leichter haben, andere zu verstehen. Auch die großen Philosophen lebten und dachten nach gewissen Mustern. Pfeil versucht sich damit also an einer Einordnung philosophischer Denkweisen. Kein leichtes Unterfangen, wenn man bedenkt, wie alt die Philosophiegeschichte ist. Er fängt bei den Vorsokratikern an und verfolgt die Denker bis ins 20. Jahrhundert.

Die hier dargestellten Denkmuster sind zunächst einmal verbreitete und legitime Modelle, um die Komplexität und Kontingenz der Welt zu bewältigen, sowie ernsthafte Versuche, auf die verwirrenden Fragen unseres Daseins eine Antwort zu finden. Sie alle haben Ihre Chancen und Risiken und verdienen mehr als lapidare Zustimmung oder Ablehnung. Wichtiger als unmittelbare Stellungsnahme ist die Achtsamkeit der Begegnung mit dem eigenen und dem fremden Denken.

Was Ludger Pfeil machen möchte, bezeichnet er als eine Art „philosophische Typberatung“. Wir können uns in dem einen oder anderen Denktyp wiederfinden und auch die Personen, mit denen wir streiten, hinter einem oder zwei der Denktypen wiedererkennen. Diese Denktypen bieten damit eine bessere Möglichkeit einmal in die „Denk-Haut“ des anderen hineinzuschlüpfen und zu erkennen, von welcher Position aus er die Welt sieht. Damit bezieht er sich auf Johann Gottlieb Fichtes oft zitierten Satz: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist …“ Weiterlesen

Notizen und Lektüretipps zu 25 Jahren Mauerfall

Berliner MauerWenn die Mauer 1989 nicht gefallen wäre, gäbe es auch diesen Literaturblog nicht, da beide Bloggerinnen in den beiden deutschen Teilstaaten aufgewachsen sind – Laura (*1984) in Lage / NRW und Katja (*1982) in Gera / Thüringen – und nun hat uns unser Weg beide seit einiger Zeit nach Berlin geführt. Unsere Freundschaft ist daher auch ein gewisses Symbol für die deutsche Wiedervereinigung ;). Wir möchten diesem historischen Datum Rechnung tragen, indem wir euch Bücher nennen, die sich mit der Thematik Ost/West und mit dem Leben in der ehemaligen DDR auseinandersetzen. Je nachdem, wie alt ihr seid und wo ihr aufgewachsen seid, habt auch ihr sicherlich euren eigenen Blick auf diese Zeit. Wir rufen euch auf, eure Lektüretipps zur DDR und deutschen Teilung ob Belletristik oder Sachbücher hier mit uns zu teilen. Denn egal, wo man aufgewachsen ist, wichtig ist das Erinnern und das Bewusstsein von der Vergangenheit. Bücher und Geschichten können diese vergangene Zeit zum Leben erwecken und uns von dem Erzählen, was wir selbst nicht miterleben konnten. Wir sind gespannt auf eure Buchempfehlungen!

Katjas Lektüretipps:

Man könnte sicherlich so viele Bücher aufzählen, die sich mit der DDR und der Thematik des Mauerfalls belletristisch befassen – manche von ihnen gut, manche von ihnen weniger gelungen. Ich habe als Ostdeutsche bisher weniger das Bedürfnis gehabt, jene zahlreichen in den Nuller Jahren erschienen „Wende-Romane“ zu lesen wie „Zonenkinder“ von Jana Hensel.

Richtig gut, authentisch, unterhaltsam und fand ich dagegen Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, das Laura abgebrochen hatte und wir hier lebhaft diskutierten. Ich habe mich in den Nullerjahren eher für Autoren interessiert, die aus der ehemaligen DDR stammen und unter den restriktiven Bedingungen dieses Staates versuchten, frei zu schreiben und ihre Kunst zu veröffentlichen. Weiterlesen

„Inside Llewyn Davis“ und Dave van Ronk – Die Folkszene von New York

dave van ronk_der könig von greenwich villageWer Musik liebt, gern Musikerbiographien liest und sich für die frühe Folkmusikszene in Amerika interessiert, wird von „Der König von Greenwich Village“ beeindruckt sein.
Diese These stelle ich einfach mal kühn in den Raum, weil ich so begeistert von diesem Buch bin und ihm viele glücklich inspirierte Leser wünsche.

Von Dave van Ronk, dem oben so genannten „König von Greenwich Village“, hatte ich bisher noch nichts gehört. Auf dieses Buch gekommen bin ich durch einen großartigen Film der Coen Brüder, der kurz vor Weihnachten 2013 in die Kinos kam: „Inside Llewyn Davis“. Darin geht es um einen jungen Mann namens Llewyn Davis, der im New Yorker Intellektuellen- und Szenebezirk Greenwich Village sein Glück als Folkmusiker findet – leider mehr oder minder erfolgreich. Der Film ist ein liebevoll gestaltetes Portrait der amerikanischen Folkszene der 50er/60er Jahre mit urkomischen und skurrilen Musikerexistenzen, einem großartigen John Goodman in der Rolle eines heroinsüchtigen Jazzers – eine Art unterhaltsamer Road-Movie und Milieubericht mit melancholisch-leiser Grundstimmung, die eine gewisse existenzielle Nachdenklichkeit und dunkle Sehnsucht anspricht, die nichts besser wiedergeben kann als die kratzig-sensible Stimme eines Folksängers und seiner akustischen Gitarre. Weiterlesen

Markus Gabriel: „Warum es die Welt nicht gibt“ (2013)

„Das Leben, das Universum und der ganze Rest … vermutlich hat sich jeder schon häufig die Frage gestellt, was das alles eigentlich soll. Worin befinden wir uns? Sind wir nur eine Anhäufung von Elementarteilchen in einem riesigen Weltbehälter? Oder haben unsere Gedanken, Wünsche und Hoffnungen eine eigene Realität, und wenn ja: welche? Wie können wir unsere Existenz oder sogar Existenz im Allgemeinen verstehen? Und wie weit reicht unsere Erkenntnis?(…)“ (S. 9)

Fragen über Fragen, für die Prof. Dr. Markus Gabriel in seinem philosophischen Sachbuch „Warum es die Welt nicht gibt“ nach einer Antwort sucht.

Das Nachdenken über diesen Buchtitel jagt dem philosophisch interessierten Leser einen Schauer über den Rücken – ein mutiger und provozierender Titel, der ein spannendes Programm voraussagt und sich einer negativen Ontologie  verschreibt. Daher weckte dieses Buch mein unbedingtes Interesse. Denn wenn es die Welt nicht gibt, was gibt es dann oder gibt es dann überhaupt gar nichts? Träumen wir unser Sein? Wie schön es wäre, sich dann schlafend den Leben hinzugeben. Aber das kann es ja wohl nicht sein. Um herauszufinden, was es mit dieser Behauptung auf sich hat, folgte ich Markus Gabriel in seinem Buch auf seine Gedankenreise in die Erkenntnistheorie und wurde sehr überrascht, zum Nachdenken und Überdenken angeregt und äußerst gut unterhalten (mancher mag es nicht glauben, aber Philosophie kann äußerst unterhaltsam sein!)

Der Autor

Markus Gabriel (Jahrgang 1980 und damit nur 2 Jahre älter als ich) ist laut Ullstein Verlag angeblich der jüngste Philosophie-Professor Deutschlands. Er hat in Bonn seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie inne und ist derzeit Leiter des internationalen Zentrums für Philosophie in Bonn. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen im Bereich der Erkenntnistheorie, Metaphysik, Religionsphilosophie und Ästhetik. Seine Curriculum Vitae liest sich sehr beeindruckend, so dass man sich fragt, wo er neben all diesen Tätigkeiten die Zeit hergenommen hat, dieses Buch zu verfassen, dem man in jeder Zeile anmerkt, dass Herr Gabriel eine große Leidenschaft für die ausgeklügelten Gedankenübungen des menschlichen Geistes hegt, die wir Philosophie nennen.Markus Gabriel_warum es die welt nicht gibt

Philosophie mit Spielfreude: Warum gibt es die Welt nicht?

„ Es wäre irrig anzunehmen, dass unsere Überzeugungen oder wissenschaftliche Modelle wie Zerrbrillen auf unserem geistigen Auge sitzen, so dass wir immer nur die Menschenwelt, die Welt, wie sie unseren Interessen gemäß interpretiert ist, niemals aber die Welt an sich erkennen. Denn auch die Menschenwelt gehört zur Welt an sich oder in der Sprache der Sinnfeldontologie: Einige Sinnfelder sind nur für Menschen zugänglich, und sie sind genauso real wie Sinnfelder, mit deren Tatsachen Menschen niemals in Berührung kommen werden.“ (S. 134) Weiterlesen

Der philosophische Mittwoch: Knietief in der Philosophie

Schein und Sein

METAPHYSIK kann man als den Versuch definieren, eine Theorie des Weltganzen zu entwickeln. Sie soll beschreiben, wie die Welt in Wirklichkeit ist, nicht, wie die Welt uns vorkommt, wie sie uns erscheint. Auf diese Weise hat die Metaphysik die Welt gewissermaßen erst erfunden. Wenn wir von „der Welt“ sprechen, meinen wir alles, was wirklich der Fall ist, oder anders: die Wirklichkeit. Dabei liegt es nahe, uns Menschen aus der Gleichung „die Welt = alles, was wirklich der Fall ist“ rauszustreichen. Denn man nimmt ja an, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Dingen, wie sie uns erscheinen, und den Dingen, wie sie wirklich sind. Um herauszufinden, wie sie wirklich sind, muss man also sozusagen alles Menschengemachte am Erkenntnisprozess abziehen. Jetzt stecken wir schon knietief in der Philosophie.

Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt, Ullstein Verlag Berlin, 2013. Hier S. 10 f.

Sarah Thornton: „Sieben Tage in der Kunstwelt“, 2009

Thornton_Sieben Tage in der KunstweltDass zeitgenössische Kunst heute eine Art Religion für Atheisten geworden ist, zieht sich thematisch wie ein roter Faden durch alle Geschichten dieses Buches. (…) Für viele Akteure der Kunstwelt und für viele Kunstbegeisterte ist konzeptuelle Kunst so etwas wie ein existenzieller Weg, um ihrem Leben Sinn und Bedeutung zu verleihen.“

Sarah Thornton ist Kunsthistorikerin und promovierte Soziologin. Sie lebt in London und schreibt für internationale Kunstmagazine. Thornton hat sich zur Aufgabe gemacht, die Kunstwelt in sieben Tagen, das heißt eigentlich, in sieben Ausflügen, sieben Aufsätzen zu beschreiben. Man nimmt mit ihr Teil an einer Auktion bei Christie´s in New York, besucht mit ihr ein Crit-Seminar in Los Angeles am CalArts (California Institute of the Arts), erlebt die Messe Art Basel in der Schweiz, schnuppert bei der Preisverleihung des Turner-Preises in London hinein, taucht ein in die Welt des Art Forum, des New Yorker Kunstmagazins, außerdem begleitet man sie ins Atelier Takashi Murakamis in Japan und stromert zuletzt über die Biennale in Venedig. Weiterlesen

Raus mit euch! Richard Louv: „Das Prinzip Natur. Grünes Leben im digitalen Zeitalter“, Sachbuch (2012)

Wieviel Zeit verbringt ihr draußen? An der frischen Luft, unter freiem Himmel, vor allem aber: in der Natur?

Richard Louv, Journalist und Umweltaktivist aus den USA, plädiert in seinem Sachbuch „Das Prinzip Natur“ dafür, dass wir die Natur zurück in unser Leben holen. Dabei bezieht er sich sowohl auf den alltäglichen Kontakt mit der Natur, sei es durch Zimmerpflanzen, Gartenarbeit, Spaziergänge oder Outdoor-Sportarten, als auch auf gesamtgesellschaftliche Änderungen unseres Kontakts zur Natur. Zu letzterem führt er viele Beispiele aus, wie eine Gesellschaft wieder ursprünglicher leben kann – ohne die fortschrittliche Technologie zu verteufeln oder aus dem Leben zu verbannen.

Sein Ansatz beruht auf der These einer früheren Veröffentlichung von ihm („Das letzte Kind im Wald?“): Wir, besonders die Stadtmenschen, leiden an einem Natur-Defizit-Syndrom. Wenn man sich mal überlegt, wie viel Zeit am Tag (vor allem in den kalten Jahreszeiten!) man draußen verbringt, kann man seine These nachvollziehen. Wir sind zu postmodernen Höhlenmenschen geworden, die den Großteil ihrer Zeit innerhalb von geschlossenen Wänden verbringen. Und dann wundern wir uns, warum wir depressiv und unausgeglichen sind, übergewichtig werden und ständig das Gefühl haben, es fehle uns etwas. Der Autor meint und belegt dies anhand zahlreicher Untersuchungen, es ginge uns wesentlich besser, wenn wir wieder naturnäher lebten. Er schreibt vom sogenannten Vitamin N – dem Vitamin Natur, das uns fehle. Weiterlesen