Wir lesen Thomas Bernhards autobiographische Rückschau “Der Atem” und notieren wöchentlich unsere Eindrücke vom Text.
Teil IV (S. 49-69)
Inhalt:
Aus der Sicht des Großvaters: Unterschied zwischen tatsächlichen und erfundenen Krankheiten – jede Krankheit womöglich eine Erfundene – Notwendigkeit der erfundenen Krankheit – Beschreibung der Arztvisite – Ausweglosigkeit der Kranken = zum Tode verurteilten Menschen – Medikamente als Todesbeschleuniger – Beziehung zwischen Arzt und Patient beleuchtet –Sicht des Erzählers: Wunsch nach Aufklärung und Erklärung durch Ärzte wird verweigert – Beschreibung des Auftauchens (und Sterbens) einzelner Menschen im Sterbezimmer: der Gastwirt, der General, der Marktfahrer und ihrer Geschichten
Sprache und Stimmung:
Durchlaufender Bewusstseinsstrom ohne Brüche und ohne Pausen – negative Wortwahl betont Gefühlskälte, Distanz und Unbeteiligtheit der Ärzte – Erzähler schwenkt in 3. Person um, wiedergegebene sehr sachliche Reflektionen des Großvaters gehen über in Reflektionen des Enkels und verschwimmen mit diesen – mehrfach wiederholtes Bild der Mauer verdeutlicht Rücksichtlosigkeit der Ärzte und als unüberwindbare Distanz wahrgenommene Arzt-Patienten-Beziehung –
Änderung der Erzählperspektive zwischendrin = Distanz zu Berichtetem – Hervorhebung der eigenen Ausnahmesituation (nur der Erzähler verlässt das Sterbezimmer lebend?) – Beschreibung der anderen Kranken / Sterbenden aus Perspektive eines beteiligten aber nicht unmittelbar betroffenen Beobachters – Beschreibungen verschiedener Arten zu Sterben anhand einzelner fremder Personen löst Frage nach dem „richtigen Tod“ aus und geht über in Reflektion über Rolle des Schreibenden – sehr passendes Sprachbild: das Leben als „schäbiger, vollkommen abgerissener Veranstaltungskalender“ ( S. 64)
„Schließlich wird den wenigsten ein Tod ohne Sterben zuteil. Wir sterben von dem Augenblick an, in welchem wir geboren werden, aber wir sagen erst, wir sterben, wenn wir am Ende dieses Prozesses angekommen sind, und manchmal zieht sich dieses Ende noch eine fürchterlich lange Zeit hinaus. Wir bezeichnen als Sterben die Endphase unseres lebenslänglichen Sterbeprozesses.“ (S. 64)
Bedeutung und Wirkung:
Ärzte werden wie gefühlslose Unwesen beschrieben, die nur ihre Arbeit verrichten – Heilen als Geschäft – Kritik an Ärzteberuf – empfundene Unmenschlichkeit der Ärzte, denen Patient hilflos ausgeliefert ist – Schwestern als abgestumpfte ausführende Menschen ohne Anteilname – der Tod wird nur als Endpunkt wahrgenommen – Starke Wertungen und moralische Fragen, gesellschaftliche Dimensionen: relevanter ist das Sterben, dass allen Lebenden seit ihrer Geburt widerfährt = Leben heißt zu sterben – im Tod sind wir alle gleich, egal welchen gesellschaftlichen Standes oder Berufen wir im Leben nachgehen – Frage: „Wie wollen wir Sterben?“ ist verbunden mit der Frage nach dem Glück – menschenwürdiges Leben und Sterben – Jeder verdient einen „guten und sanften“ Tod, nicht jeder erhält einen – moralische Wertung – indem der Erzähler über den „Schreibenden“ nachdenkt, macht er sich indirekt über den Beobachterstandpunkt eines Autoren Gedanken
Nächste Woche geht es weiter mit S. 69 – 90!
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