Ich bin soeben beim Umherwandern im Netz und auf Twitter über einen Artikel eines Johannes Schneider in der Online-Ausgabe des Tagesspiegel gestolpert, der mich ziemlich aufregt: „Literaturblogger in Deutschland Bits über Bücher“.
Darin geht es um die Bloggern Katy Derbyshire, die als Engländerin über deutsche Gegenwartsliteratur bloggt und um den Blogger Stefan Mesch. Der Tonus des Artikels lautet, es gäbe kaum oder keine deutschen Blogger, die anspruchsvoll über Literatur bloggen und Gegenwartsbücher empfehlen würden: „In Deutschland dagegen seien es vor allem die Fans von Genreliteratur, die einander im Netz Inhaltsangaben und Kaufempfehlungen schrieben, vor allem aus den Bereichen Fantasy oder „Frauenliteratur“. „Chick Lit“, wie Derbyshire das nennt. „Die Nische, in der ich mich hier bewege, ist sehr klein.“
Blogger Stefan Mesch wird weiterhin zitiert: „Ich frage mich, warum nicht viel mehr Menschen über Literatur bloggen. Die Technik ist da. Das Publikum auch. Und eine Art Sehnsucht.“ Der Journalist und Autor des Artikel scheint sich selbst gar nicht auf Recherche begeben zu haben, denn merkt dazu nicht viel an. Und so entsteht der Eindruck, es gebe bei uns kaum anspruchsvolle Literaturblogs. Das erbost mich dann schon etwas. Unser kleines Blogbaby ist ja noch ziemlich jung und ich möchte jetzt keinen Wettstreit ausrufen, wer anspruchsvoller schreibt. Aber meine Recherchen, Spaziergänge und Stöberungen im Netz, ja die Kommentierenden hier in unserem Blog und bei euch bibliophilen Lesern da draußen sprechen doch aber eine ganz andere Sprache – dass absolut einige sehr gute, kritische, vielseitige Literatur- und Philosophieblogs im deutschsprachigen Netz unterwegs sind. Diese gibt es auch nicht erst seit gestern, wenn man sich die Mühe macht, sich diese Blogs näher zu betrachten, bemerkt man sehr wohl, dass einige schon seit mehreren Jahren serh aktiv über anspruchsvolle Gegenwartsliteratur bloggen.
Sicherlich gibt es auch die zahlreichen „Chick-lit“-Blogs, wie sie der Artikel ein wenig hämisch benennt, aber man kann jetzt doch nicht alle deutschen Blogger über einen Kamm scheren!? Das finde ich äußert unangemessen und für einen Journalisten sehr traurig, weil äußerst schlecht recherchiert. Er untergräbt hier die Arbeit und das Herzblut vieler Blogs, die Laura und ich hier sehr gern lesen und schätzen, weil sie wunderbare literarische und poetische Schätze entdecken und besprechen.
Nicht zuletzt die tolle Interviewreihe von Gesine von Prittwitz über bibliophile Blogger belegt die Vielfalt in unserer „Bloggerszene“, wenn es eine solche gibt. Durch ihre Vorstellungen zahlreicher Literaturblogs bin ich auf einige ganz tolle Blogs gestoßen, die meinen Lesevorlieben sehr ähnlich sind, und da ist keine reine Genreliteraturempfehlung dabei.
Ich fühle mich von diesem Artikel als frische Literaturbloggerin nicht persönlich angegriffen, aber ich als Redakteurin erwarte von einem Journalisten, dass er sich informiert und rechercheriert und damit ein ungefähres Bild der Realität abgibt. Hier geht er völlig daran vorbei, hatte keine Lust zu recherchieren oder Zeitdruck. Ansonsten ist mir nicht klar, wie er zu dieser Wahrnehmung kommt. Es scheint, er gebe nur die Meinung zweier einzelner Blogger wieder, die ihrerseits wiederum nicht wirklich sehr viel im Netz unterwegs zu sein scheinen. Schaut man sich die Blogroll von Katy Derbyshire an, findet man auch kaum einen der mir bekannten anspruchsvollen Blog wieder. Es sei ja jedem selbst überlassen, wen er verlinkt und wen er im Netz gut findet. Jeder bewegt sich eben in seinem eigenen kleinen Kosmos. Aber wie kann es sein, dass ein Journalist, sich a) nicht weiter informiert und b) ich innerhalb nur weniger Wochen eine derartige Fülle von mir sehr nahen Literaturblogs kennen lerne, die er scheinbar völlig außen vor lässt.
Sicherlich ist es ein Unterfangen, wenn man als neuer kleiner Blog, wie wir es sind, gelesen und gefunden werden möchte – aber unsere Erfahrung zeigt, dass Blogger durchaus immer auf der Suche nach Gleichgesinnten sind und sich gegenseitig vernetzen und man sich dann schnell findet.
Mal abgesehen davon, dass hier alle Blogs in einem Topf geworfen werden, ist es wirklich traurig, wenn eine so selektive Meinung sich in einem Blatt wie dem Tagesspiegel wiederfindet, dass viele Menschen lesen, die jetzt den Eindruck gewinnen könnten, es gäbe keinerlei „gute“ (was auch immer das ist) Literaturblogger in unserem Land. Zum Glück gibt es die Kommentarfunktion, die auch schon von Gesine von Prittwitz und anderen genutzt wurde, um das klarzustellen.
Ich möchte euch hiermit nahe legen, den Artikel im Tagesspiegel zu lesen und dort zu kommentieren. Ich würde mich auch gern mit euch darüber austauschen und bin gespannt, was ihr darüber denkt und ob ihr meine Aufregung versteht oder euch das nicht im mindesten tangiert …