Carson McCullers: „Die Ballade vom traurigen Café“ (1951)

„Die Ballade vom traurigen Café“ ist der zweite Roman, den ich von Carson McCullers lese. Nachdem ich von „Das Herz ist ein einsamer Jäger“  so begeistert war, kann ich auch dieses schmale kleine Buch wieder nur wärmstens empfehlen.

Es geht  um eine eigenartige tragische Dreiecksgeschichte zwischen der robusten und alleinlebenden Café- und Barbesitzerin Miss Amelia Evans, deren kleinwüchsigen und buckligen Vetter Lymon und ihrem gewalttätigen Ex-Ehemann Marvin Macy. Wir befinden uns in einer amerikanischen trostlosen Kleinstadt in den 30er oder 40er Jahren:

„Die Stadt selbst ist trostlos; da ist nicht viel außer der Baumwollspinnerei, den zweiräumigen Hütten für die Arbeiter, ein paar Pfirsichbäumen, einer Kirche mit zwei bunten Glasfenstern und einer schäbigen Hauptstraße von knapp hundert Metern Länge.“Carson Mc Cullers_Die Ballade vom traurigen Café

Carson McCullers beschreibt ihre Figuren mit einer dichterischen Hingabe und Liebe zu Schwächen und Skurrilitäten, wo nicht der strahlende gutaussehende Held das Geschehen bestimmt, sondern die unzulänglichen, hart arbeitenden einfachen Bürger, die Menschlichkeit siegt über den Idealismus:

„Miss Amelia war reich. Außer dem Laden betrieb sie noch hinten im Sumpf, drei Meilen weit weg, eine illegale Brennerei, wo sie den besten Branntwein des ganzen Bezirks brannte. Sie war eine dunkle, hochgewachsene Frau und hatte Muskeln und Knochen wie ein Mann. Das Haar trug sie kurzgeschnitten und aus der Stirn gekämmt: ihr sonnenverbranntes Gesicht zeigte einen wilden, verkrampften Ausdruck. Sie hätte hübsch sein können, wenn sie nicht damals schon leicht geschielt hätte.“

Miss Amelia besitzt einen Laden, der den einzigen lebendigen sozialen Mittelpunkt der kleinen Stadt darstellt. Sie ist geschickt in vielen handwerklichen Dingen, handelt mit allerlei Waren des täglichen Bedarfs und besitzt Kenntnisse in Wundheilung und anderen medizinischen Belangen. Trotz ihrer Rauheit und äußerlichen Härte hat sie ein sehr gütiges Herz und warmes mitfühlendes Wesen, das vor allem an dem Tag sichtbar wird, als ein buckliger Fremder auf der Veranda ihres Ladens steht, sich als ein angeblicher Vetter ausgibt und einen Whisky verlangt. So platzt ihr Vetter Lymon, der Bucklige, in ihr einsames Leben als hätte er nie etwas anderes getan, nistet sich seltsame Grimassen schneidend bei ihr ein und man kann sagen, beide werden zu einer merkwürdigen Einheit und dem seltsamsten Paar der Stadt.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf als der gewalttätige Kurzehemann Marvin Macy sich in der Stadt ankündigt. Seine Ehe mit Miss Amelia währte nur wenige Tage, seine Liebe aber war groß und unsterblich, jedoch zum Scheitern verurteilt, da Miss Amelia seine besitzergreifende betrunkene Nähe nicht zulassen konnte und sich mit Gewalt jeder Annäherung verschloss. Daraufhin verschwand Marvin Macy urplötzlich aus der Stadt und man hörte nur schauerliche Geschichten von ihm. Bis zu jenem Tag seiner Rückkehr verlief das alltägliche Leben im Café, das durch die Anwesenheit des Buckligen ein munterer geselliger Ort wurde seinen gewohnten Gang …

Es gibt nicht viele amerikanische Autorinnen, die im frühen 20. Jahrhundert veröffentlicht haben und solche eine Anerkennung in der literarischen Szene fanden wie McCullers. Sie gehört zu Recht zu den großen Erzählern Amerikas und wird mit Autoren wie Faulkner, Fitzgerald und Williams in einem Atemzug genannt. Sie ist nicht nur Erzählerin, sondern Dichterin, die mit ihren Worten eine Szenerie malt, die vor dem geistigen Auge erscheint. Ihre Geschichten haben einen gleichnishaften Charakter, sie sind Parabel und Lehrstück. Sie erzählt von den seltsamsten Menschen in den abgelegensten Gegenden, die man sich vorstellen könnte. Obwohl es meist ganz still anfängt und nicht so viel passiert, nimmt sie den Leser mit hinein in ihre poetische hintersinnige Figurenwelt, die immer auf eine sinnhafte Metaebene zu verweisen scheint, deren Sinn sich zunächst verbirgt jedoch wie in einer Fabel am Ende zu Tage tritt. Vor allem in wunderschön poetischen tiefsinnigen Sätzen, die man sich notieren möchte um ewig darüber nachzusinnen:

 „Die Liebe ist erstens einmal ein gemeinsames Erlebnis zweier Menschen; die Tatsache jedoch, daß es ein gemeinsames Erlebnis ist, bedeutet noch nicht, daß es für die Beteiligten ein ähnliches Erlebnis ist. Es geht immer um den Liebenden und den Geliebten – doch stammen die beiden aus verschiedenen Landen. Oftmals löst der Geliebte nur all die aufgespeicherte Liebe aus, die bis dahin so lange im Liebenden geschlummert hat. Und irgendwie ahnt das auch jeder Liebende. Er fühlt es in seinem Herzen, daß seine Liebe ihn vereinsamt. Er erlebt eine neue, seltsame Einsamkeit, und er leidet unter dieser Erfahrung. Es bleibt dem Liebenden also nur eins zu tun: er muß seine Liebe nach besten Kräften in sich beherbergen; er muß sich eine vollständige, neue Welt in seinem Innern aufbauen,  eine starke und eigentümliche Welt, die an sich selbst Genüge hat. Und dieser Liebende, das mag hier hinzugefügt werden, braucht nicht unbedingt ein junger Mann zu sein, der für einen Trauring spart – es kann Mann, Frau oder Kind, einfach irgendein menschliches Lebewesen auf unserer Erde sein.“

Sie erzählt in einer ganz beeindruckend sensiblen und bildhaften Sprache, die einen besonders traurigen Erzählton trägt, der unter die Haut geht und berührt, weil er so rein, so ehrlich ist. McCullers Themen sind ähnlich wie schon in „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ wieder das menschliche Zusammenleben angesichts existenzieller Nöte und Fragen, Menschlichkeit, Liebe zueinander, Fürsorge und Hass, der keine Worte kennt. Es gibt keine langen Dialoge oder Gespräche. Ihre Figuren verhaften in einer Art Sprachlosigkeit und emotionalem Gefängnis, dass durch ein bestimmtes plötzliches Ereignis aufgebrochen wird. Leise beginnt die Handlung und endet mit einer absurden Wendung und einem lautlosen Knall. So wenig wie man zunächst die Beweggründe der Protagonisten erkennt, versteht man vordergründig deren Beziehung – es liegt Nebel über ihren Worten, über der Stadt, über den Menschen, die alle ein Geheimnis mit sich tragen, das nicht gelüftet wird. Sie erzählt vom Leben und Überleben, vom Miteinander, dass auch Gegeneinander ist, von Freundschaft, die Liebe ist und von einer Fürsorge, die auch Abhängigkeit bedeutet. Ihre Figuren und deren Charakter erschließen sich nicht auf den ersten Blick, sie sind Randgestalten, die verwirren, bewegen und überraschen, darin liegt ihr Geheimnis. Das Besondere an Carson McCullers ist die lautlose, stille und plötzliche Dramatik des Geschehens und der melancholische Blick auf die Gemeinschaft dieser eigenartigen Menschen.

Der fast schon parabelhafte Sinn der Ballade erschließt sich vor allem angesichts des Abschlusskapitels „Die zwölf Sterblichen“, bei dem der Blick des Erzählers auf eine Sträflingskolonie aus sieben schwarzen und sieben weißen Männer fällt, die aneinandergekettet bei der Sträflingsarbeit eine gemeinsame Melodie singen, die wie die kollektive Trauer eines Sklavengesangs zum Himmel anschwillt. Hier zeigt sich die existenzialistische Komponente ihres Schreibens in einem aussagekräften Bild: Egal, was dem einzelnen Mensch in seinem Leben widerfährt, wo er herkommt, welche Hautfarbe und Bildung er hat – wir sind alle menschlich miteinander verbunden und teilen ein sterbliches Schicksal.

Wer Carson McCullers liest, beschäftigt sich immer mit den existenziellen Grundfragen, den Menschen, deren Beziehungen zueinander, deren Aufgabe in der Welt und immer auch mit sich selbst.

Carson McCullers: Die Ballade vom traurigen Café. Diogenes Verlag Zürich (aktuelle Auflage 1988)

6 Gedanken zu “Carson McCullers: „Die Ballade vom traurigen Café“ (1951)

  1. Liebe Katja, Zitate und Text hörten sich so schön einsam an, dass ich das Buch unbedingt haben wollte und gleich bei Booklooker bestellt habe….
    Einen schönen Tag wünscht dir Susanne

    1. Guten Morgen Susanne – ui, das ist aber schön. Es wird dir bestimmt gefallen und dich vielleicht zu einer Zeichnung inspirieren … Ich wünsche dir auch nen schönen Tag – ich freu mich auf Iggy Pop in der Zitadelle Spandau – Rock n Roll =)

  2. Oh ja, ein wunderschönes Buch. Nur schon der Titel ist so wundervoll, dass man ihn nie mehr vergisst. Sehr zu empfehlen ist auch der Film mit Vanessa Redgrave. Herzlich Lara

    1. Danke Lara, auch für den Tipp. Ich wusste gar nicht, dass es verfilmt wurde. Werd ich mal aufpassen, vielleicht kommt er ja mal auf Arte oder 3sat …

  3. Ist das Titelbild der Ausgabe auch wieder von Edward Hopper? (Sieht so aus) Das passt prima zu dem Eindruck, den du vom Inhalt des Buches vermittelst… einsame (Rand) Figuren, zwischenmenschliche Konstellationen, Amerika in der ersten Hälfte 20. Jahrhunderts, Melancholie inmitten der Fortschrittsgesellschaft… ich mag das.
    Und da du ja den direkten Vergleich zwischen beiden Romanen hast: Gibt es einen frappanten Unterschied? Könntest du sagen, welches Buch dir besser gefiel?

    1. Einen frappanten Unterschied gibt es nur in diesem Sinne, dass es sich um eine völlig andere Geschichte und andere Figurenkonstellationen handelt. Die Qualität, die Sprache und die Grundthemen sind gleich. „Das Herz…“ ist auch ein längerer Roman. Bei der „Ballade“ ist die eigentliche Handlung nicht so umfassen, aber dennoch interessant und berührend, die Stimmung ähnlich einsam und traurig und am Ende bleiben viele Fragen, Anregungen und Ideen über die Menschlichkeit und die Liebe … Ich bin von beiden Romanen sehr überzeugt, jeder ist in sich stimmig und trägt so viel Wahres und Echtes … Einfach schön.
      Ich mag die Autorin sehr und werde wohl als nächstes mal ihren Roman „Frankie“ über eine junge Frau und das Erwachsenwerden lesen.

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